IM GESPRÄCH:
TILLMANN SCHÜTT.
TILLMANN SCHÜTT.
Wenn Sie sich die Historie von Schütt ansehen, was waren Ihrer Meinung nach entscheidende Entwicklungen oder Meilensteine?
→ Wir befinden uns mittlerweile in der fünften Generation und jede Generation hat auf ihre Art das Unternehmen geprägt. So hatte mein Großvater, der in den Krieg zog und dort in Gefangenschaft geriet, vollkommen andere Rahmenbedingungen als ich heute.
Eine entscheidende Entwicklung hat das Unternehmen mit meinem Onkel Claus Schütt genommen, der 1961 mit abgeschlossener Ausbildung als Architekt und Zimmerermeister aus Eckernförde voller Tatendrang zurück in den väterlichen Betrieb kam.
Durch ihn ist viel bewegt worden. So ist unter seiner Leitung 1966 die eigene Brettschichtholzproduktion aufgenommen worden – fraglos ein wichtiger Meilenstein. 1975 kam sein Bruder Hans Schütt ins Unternehmen und hat das Ingenieurbüro aufgebaut.
Die Erweiterung um ein eigenes technisches Büro war sicherlich ein weiterer wichtiger Schritt. Und dann natürlich die Inbetriebnahme unserer vollautomatischen Abbundanlage 2007. Damit hatten wir auf einmal völlig neue Möglichkeiten und haben auch gleich dazu die passenden Projekte bekommen. Den Wal in Friedrichskoog zum Beispiel hätten wir ohne unsere Abbundanlage gar nicht realisieren können.
Fühlen Sie sich einem Ihrer Vorgänger besonders verpflichtet?
→ Ich würde es nicht an einer Person festmachen. Ich empfinde ein Verantwortungsgefühl gegenüber allen Mitarbeitern. Ich glaube, das habe ich mitbekommen. Ich habe es bei meinem Onkel so wahrgenommen – bei meinem Großvater nicht so, als er gestorben ist, war ich erst sieben – dass man eine große Familie ist und dass man allen, die für uns tätig sind, verpflichtet ist. Und der Region im Übrigen auch. Das hat auch ein bisschen was von einem trotzigen Charakter. So nach dem Motto: Obwohl wir hier sitzen, können wir überregional und international erfolgreich sein.
Auf die Mitarbeiter bezogen, ist es eine gute Ecke. Hier auf dem Land herrschen noch gewisse Grundwerte vor. Was die Wertebildung angeht, ist es ein super Standort. Wenn es um die Entfernung zu unseren Bauplätzen geht, könnten wir natürlich etwas zentraler sitzen.
Ich möchte Gebäude schaffen, bei denen man sagt:
„Ach, das geht auch mit Holz?“
Mit welcher Leistung möchten Sie einmal in die Chroniken Ihres Unternehmens eingehen?
→ Ich würde gerne Bauwerke schaffen, die besondere Merkmale haben. Die Funktionalität, Ästhetik und Energieeffizienz miteinander verbinden. Ja, ich würde gerne mit unserem Baustoff Holz Gebäude schaffen, die keine typischen Holzhäuser sind. Bei denen man sagt: „Ach, das geht auch mit Holz?“ Und natürlich spielt das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle. Wobei ich immer zurückhaltend bin, wenn es so missionarisch wird. Der Begriff wird momentan sehr strapaziert, aber ich empfinde schon durchaus die Verantwortung – die ja vielleicht auch jeder hat.
Es wäre schön, wenn ich das Unternehmen dahingehend entwickeln könnte, dass man bei den Stichworten nachhaltiges, verantwortungsbewusstes Bauen mit hoher Energieeffizienz an uns denkt.
Ich möchte am Ende zurückblicken und sagen können: „Das war gut, was ich da gemacht habe.“ Grundsätzlich geht es mir darum, dass wir so wirtschaften können, dass das Unternehmen gesund ist und wir investieren und uns weiterentwickeln können. Dass wir uns eine schöne Website leisten können, dass wir uns Maschinen kaufen und eine Halle bauen können. Persönlicher Wohlstand ist nicht das Ziel meines Handelns.
„Mich ärgern alle Vorurteile.
Nicht nur, wenn es um Holz geht.“
Welches Vorurteil gegenüber Holz als Baustoff ärgert Sie persönlich am meisten?
→ Mich ärgern alle Vorurteile. Nicht nur, wenn es um Holz geht. Bei Holz würde ich sagen: das Thema der Dauerhaftigkeit. Wenn man glaubt, dass das, was man mit Holz baut, weniger wertbeständig sei. Das stört mich am meisten. Und das geht ja einher mit der Auffassung, Holz sei sehr witterungsempfindlich und würde vergammeln.
Und vielleicht auch der angeblich fehlende Brandschutz?
→ Ja genau, das gehört dazu. Die Meinung, Holz brenne zu schnell und sei eine leichte Bauweise. So nach dem Motto: Leicht ist schlecht, massiv ist gut. Als ob die Baustoffmasse, die in einem Gebäude steckt, ein Qualitätsmerkmal sei. Wir müssen aufräumen mit den Vorurteilen, die wir uns aber auch selbst eingebrockt haben. Und zwar dadurch, dass unsere Branche in den 70er-Jahren so eine billige Schnellbauweise entwickelt hat. Wo auf einmal so Papphäuser gebaut wurden, mit denen nachher keiner mehr glücklich war. Die auch energetisch betrachtet unzulänglich sind. Diesen Makel haben wir uns selbst mal geschaffen.
Wir müssen es hinbekommen, die Menschen mitzunehmen und sie davon zu überzeugen, dass eine Holzrahmenbauwand mit einer doppelten Lage Gipskarton und einem Holzkern genauso gut ist wie eine gemauerte Wand, die verputzt ist. Und dass sie unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung sogar noch bessere Eigenschaften besitzt.
Und auch die Fragen nach den bauphysikalischen Eigenschaften gehören dazu. Ist die Schalldämmung genauso hoch? Speichert die Wand genauso viel Wärme oder Kälte? Heutzutage werden Wänden ja unglaubliche Eigenschaften zugesprochen.
Dass eine gemauerte Wand oft kalt ist, Strahlungskälte hat, wird dabei gerne vergessen. Oder dass Mauerwerkswände von unten oft feucht sind, sodass der Keller blüht, das wird vergessen. Es ist schon so, dass das Bauen mit Holz eine höhere Detailtiefe und mehr Sorgfalt benötigt. Erst dadurch erreicht man die Dauerhaftigkeit. Wenn ich aber diese Detailtiefe erarbeite, erreiche ich noch ganz andere Vorteile, die ich durch diesen Werkstoff gewinnen kann. Dann habe ich auch eine Elementierbarkeit, die mir kein anderer Werkstoff in der Form bietet.
Eine Elementierbarkeit?
→ Ja, ich kann ein einzelnes Wandelement bauen, das bereits Installationen beinhaltet. Ich kann aber auch ganze Module bauen, wie Sanitärmodule oder Raummodule, die ich zusammenstecke. Das geht mit anderen Baustoffen, schon wegen des Gewichtes, nicht mehr. Ich muss zwar viel detaillieren, aber wenn ich schon diese ganzen Schritte gegangen bin, dann kann ich auch noch die anderen Vorteile mitnehmen, wie die kurze Bauzeit oder die trockene Bauweise.
„Das Beste, was uns passieren kann, ist, wenn der Kunde sich in den Entwurf verliebt.“
Was für eine Vision treibt Sie an?
→ Ich möchte, dass das Team, das mit mir arbeitet, begeistert ist von dem, was wir tun. Wenn man gute Leute haben will, muss man ihnen auch Inhalte bieten. Das ist etwas, an das ich oft denke. Dass wir alle zusammen Spaß daran haben, besondere Lösungen zu erarbeiten. Das Bauwerk, das dann entsteht, ist das schöne Ergebnis. Aber der Weg dahin gehört für mich genauso dazu. Darüberhinaus freut es mich, wenn die Dinge eine gewisse Zeitlosigkeit besitzen. Wenn wir Gebäude realisieren, die auch in 10, 20 oder 40 Jahren noch immer aktuell sind. Ich habe das große Glück, dass wir unsere Kunden immer mit der Idee abholen können. So können wir mit der Qualität des Entwurfes dazu beitragen, dass wir auch mit der Bauleistung beauftragt werden. Das Beste, was uns passieren kann, ist, wenn der Kunde sich in den Entwurf verliebt. So haben wir auch Einfluss darauf, welche Materialien zum Einsatz kommen. Mitgestalten zu können, ist für mich eigentlich das Schönste an meiner Arbeit. Dabei sind meine Mittel natürlich beschränkt. Ich habe zwar ein architektonisches Verständnis, kann es aber als Bauingenieur nicht so umsetzen. Aber dafür habe ich ja Gott sei Dank in meinem Team Menschen, die das können.
Gibt es eine Bauepoche, die Sie besonders mögen? Von der Sie überzeugt sind: Das ist auch noch in der Ewigkeit schön?
→ Ja, natürlich. Nicht Bauhaus, eher den Nachfolger davon. Die Gradlinigkeit der Architektur mag ich sehr. Ich bin ein großer Freund von Reduktion und Klarheit. Dazu fallen mir Namen wie Frank Lloyd Wright oder Ludwig Mies van der Rohe ein. Diesen Baustil darf man aber nicht nur zitieren, man muss ihn für die heutige Zeit neu interpretieren.
„Für das Jahr 2116 wünsche ich mir einen Holzbauanteil von 40 bis 50 %.“
Mal angenommen, wir könnten in das Jahr 2116 reisen. Welche Gebäude würden uns erwarten?
→ Ich glaube, dass wir uns von dem Gedanken verabschieden werden, dass man für Generationen baut. Ich finde es zwar auch schön, in ein Universitätsgebäude zu gehen, dass 1812 gebaut wurde und den Geist dieser Zeit zu spüren. Aber ich halte nichts davon, alte Gebäude abzureißen und wieder nachzubauen, so wie zum Beispiel das Berliner Stadtschloss. Wir werden deutlich flexibler leben, wir werden Wohnraum auch nicht mehr so an Personen binden. Das Verhältnis zu Eigentum wird sich verändern. Man hat kein eigenes Auto mehr, man teilt sich eins. Und so wird es auch mit dem Wohnraum werden.
Gerade unter dem Gesichtspunkt der kommenden Urbanisierung wird die Durchmischung verschiedener sozialer Schichten, ein Gedanke, der schon in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts Grundlage der Stadtplanung war, immer mehr an Bedeutung gewinnen. Es wird nicht mehr das Viertel für die Reichen und das für die Armen geben. Alle Schichten werden in ein Quartier und in ein Gebäude gebracht. Auch bei den Altersgruppen wird es ein Mehr an Miteinander geben. Und man wird Wohnraum teilen. Familien, deren Kinder aus dem Haus sind, werden Räume abgeben an jungen Familien, die gerade Kinder bekommen haben.
Diese Flexibilität muss aber auch baubedingt möglich sein.
→ Genau. Man muss Wände wegnehmen oder neu setzen können. Diese Form der Flexibilität wird eine wichtige Aufgabe für die Planer sein. Das Übermaß an Dämmung, das wir heute haben, wird irgendwann keine so große Rolle mehr spielen. Ich glaube, wir werden sehr viel stärker als heute solare Energie nutzen. Und zwar ohne, dass man in der Energiebilanz teure Solarzellen produziert. Man wird in den nächsten Jahrzehnten die solaren Erträge sehr viel besser einzusetzen wissen. Und natürlich wird sehr viel mehr in die Höhe gebaut werden. In Wien war gerade Spatenstich für ein 19-geschossiges Haus in Holzbauweise. Diese Leuchtturmprojekte gibt es ja schon jetzt. Die typische Hamburger Bebauung – vier Geschosse plus Dach – wird man sich in Zukunft vielleicht nicht mehr leisten können.
Ein weiterer Punkt ist die Begrünung der Fassaden. Wir werden ganz andere Fassadensysteme bekommen. Gerade der Fassade wird in den nächsten Jahren immer mehr Funktion zugeschrieben werden. Genau wie den Dächern. Schön wäre es, wenn wir dann einen Holzbauanteil hätten, der nicht wie heute bei 20 % liegt, sondern vielleicht bei 40 oder 50 %.
„Die Diskussion über moralische Verantwortung müssten wir viel stärker über alle Bereiche hinweg führen.“
Was sind für Sie die aktuell wichtigsten Herausforderungen, denen sich Bauunternehmen stellen müssen?
→ Es beginnt damit, dass der Staat sein Vergabesystem neu überdenken sollte. Alle Aufträge werden ausgeschrieben mit dem Ziel, dass nicht der billigste, sondern der günstigste Anbieter den Auftrag erhält. Diese Überprüfung der Wirtschaftlichkeit findet aber faktisch nicht statt. Ich glaube, dass ein Großteil dieser günstigen Preise subventioniert wird durch Firmen, die sich verkalkuliert haben oder aus wirtschaftlicher Not heraus das Angebot künstlich niedrig gehalten haben. Und im Ergebnis ihre wirtschaftliche Situation weiter verschlechtern. Das ist kein gesundes System.
Diese Praxis ist aus meiner Sicht schädlich für Bauqualität und Wirtschaft. Um Kosten zu senken, werden die günstigsten Nachunternehmer gebucht, die sich ihrerseits kaum über Wasser halten können und bei Material und Personal sparen. Ich habe es erlebt, dass Arbeitskräfte nachts auf Paletten auf der Baustelle schlafen. Das ist so eine Doppelmoral. Auf der einen Seite rüsten wir auf mit Auflagen, aber am Ende der Wertschöpfungskette bewegt man sich im Elend. Obwohl die Baubranche boomt, gibt es durch diese Praxis sicher genug Firmen und Menschen, die jeden Tag um ihr Überleben kämpfen. Da müsste man etwas tun. Diese Diskussion über moralische Verantwortung müssten wir viel stärker über alle Bereiche hinweg führen.
Was sind Ihre Vorbilder?
→ Das ist eine schwierige Frage. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich habe eine Bewunderung für Menschen, die Großes geleistet und sich dabei selbst immer zurückgenommen haben. Die ihre Bodenhaftung behalten haben. Dazu gehört auch mein Vater. Wenn ich ein Vorbild aus meinem direkten Umfeld nennen müsste, würde ich meinen Vater nehmen.